Isaac Breuer (1883–1946) by Denis Maier

Isaac Breuer (1883–1946) by Denis Maier

Autor:Denis Maier
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: de Gruyter
veröffentlicht: 2015-02-15T00:00:00+00:00


5.4 Inauthentische Väter, authentische Ostjuden

Für viele jüdische Intellektuelle zu Beginn des 20. Jahrhunderts – etwa für Gershom Scholem, Ernst Simon, Franz Rosenzweig – bedeutete die Rückbesinnung auf das Judentum gleichzeitig eine Abkehr von den Idealen ihrer Väter. Die Elterngeneration hatte, so der gängige Vorwurf, im Zuge der Emanzipation ein authentisches religiöses Leben gegen ein Scheinjudentum eingetauscht, ohne dafür im Gegenzug die erhoffte vollständige gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten.568 Die klassische Beschreibung des Generationenkonflikts innerhalb des jüdischen Bürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet sich in Franz Kafkas Brief an den Vater:

Als Kind machte ich mir, in Übereinstimmung mit Dir Vorwürfe deshalb, weil ich nicht genügend in Tempel ging, nicht fastete u.s.w. […] Später als junger Mensch verstand ich nicht, wie Du mit dem Nichts von Judentum, über das Du verfügtest, mir Vorwürfe machen konntest, dass ich (schon aus Pietät, wie Du Dich ausdrücktest) nicht ein ähnliches Nichts auszuführen mich anstrenge. […] Du giengst an 4 Tagen im Jahr in den Tempel, warst dort den Gleichgültigen zumindest näher, als jenen, die es ernst nahmen, erledigtest geduldig die Gebete als Formalität, setztest mich manchmal dadurch in Erstaunen, dass Du mir im Gebetbuch die Stelle aufmischen konntest, die gerade recitiert wurde […] So war es im Tempel, zuhause war es womöglich noch ärmlicher und beschränkte sich auf den ersten Sederabend, der immer mehr zu einer Komödie mit Lachkrämpfen wurde […] Das war also das Glaubensmaterial, das mir überliefert wurde […]. Wie man mit diesem Material etwas besseres tun könnte, als es möglichst schnell loszuwerden, verstand ich nicht; gerade dieses Loswerden schien mir die pietätvollste Handlung zu sein. […] Du hattest aus der kleinen ghettoartigen Dorfgemeinde wirklich noch etwas Judentum mitgebracht, es war nicht viel und verlor sich noch ein wenig in der Stadt und beim Militär, immerhin reichten noch die Eindrücke und Erinnerungen der Jugend knapp zu einer Art jüdischen Lebens aus […]. Im Grund bestand der Dein Leben führende Glaube darin, dass Du an die unbedingte Richtigkeit der Meinungen einer bestimmten jüdischen Gesellschaftsklasse glaubtest […]. Auch darin lag noch genug Judentum, aber zum Weiter-überliefert-werden war es gegenüber dem Kind zu wenig, es vertropfte zur Gänze während Du es weitergabst.569

Auch Breuers Ablehnung der bürgerlichen Welt äußert sich als Kritik an den Vätern, was in seinen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik veröffentlichten Romanen Ein Kampf um Gott und Falk Nefts Heimkehr zum Ausdruck kommt. In beiden versagen die Väter bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, ihren Sohn zu einer gelingenden jüdischen Existenz zu führen und tragen wesentlich Schuld an deren religiösen Entfremdung sowie einer bestenfalls aus Gewohnheit und Routine erfolgenden Erfüllung der Gebote.570

Besonders dem religiösen Konservativismus gilt Breuers Verachtung, denn dieser ist nur ein auf Dauer gestellter Kompromiss. »Zwischen Sollen und Sein steht der Schein, der dem Sollen Rechnung trägt und dem Sein nicht allzu weh tut.« Konservativ in diesem Sinne ist Jakob Thoring, der Vater des Protagonisten in Ein Kampf um Gott, der »[v]on Gottes Recht […] freilich nur wenig« wusste und an »die Quellen […] nicht selbständig herantreten« konnte. Trotz aller Pietät steht der Beruf und nicht das Judentum im Zentrum seines Lebens: »Er war ein kapitalistisches Schemen.



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